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Frühes Zusammenwirken von Architektur und Energie

Neubau Dienstleistungs- und Verwaltungszentrum in Eberswalde
Frühes Zusammenwirken von Architektur und Energie

Markus Hoeft

Nachhaltigkeit ist beim 2007 in Eberswalde fertig gestellten Neubau des Verwaltungszentrums des Landkreises Barnim kein gedankenlos und nachträglich aufgepapptes Etikett, sondern war von Anfang an Teil des Wettbewerbs sowie der integrierten Architektur- und Energieplanung zweier renommierter Büros. Für Architektur, Generalplanung und Projektsteuerung zeichnete die GAP Gesellschaft für Architektur und Projektmanagement, Berlin, verantwortlich.
Bereits seit dem Wettbewerb im Jahr 2003 wurden alle Entwürfe und Einzellösungen mit den Energieexperten des Ingenieurbüros teamgmi, Wien, optimiert und abgestimmt. Die architektonische und die energetische Planung kamen also nicht erst in einer späten Phase zusammen, wo der jeweils andere bisweilen wie ein Störer oder gar Zerstörer der eigenen Ideen wirken kann. Vielmehr gelang es durch die Teamarbeit von Anbeginn ein städtebaulich-gestalterisch überzeugendes Projekt mit dem im Wettbewerb geforderten Primärenergieverbrauch von nicht mehr als 100 kWh pro Quadratmeter und Jahr zu realisieren.
Abkehr von langen Wegen und dunklen Fluren
Der neue Dienstsitz des Landkreises Barnim liegt am Marktplatz von Eberswalde und trägt nach einem zeitgenössischen Künstler aus der Region den Namen Paul-Wunderlich-Haus. Das Ensemble gibt einer rund ein Hektar großen Kriegsbrache wieder eine Funktion und ist damit eine wichtige, bisher schmerzhaft fehlende Ergänzung mitten im Stadtzentrum.
An diesem prägnanten Ort der Kommune wollten die Architekten keinesfalls die vorher herrschende Leere durch eine neue Ödnis in Form eines gängigen Bürobaus schaffen. Statt langer, dunkler und menschenleerer Flure hatten sie die Vision einer transparenten, zukunftsorientierten und mitten im Leben stehenden Verwaltung.
Diese Idee und die gleichzeitige Notwendigkeit, rund 22 000 m² Bruttogeschossfläche der kleinteiligen Stadtstruktur von Eberswalde anzupassen, mündete in einer Aufteilung der Verwaltung in mehrere separate Gebäude. Vier dieser Gebäude gruppieren sich in einem angenäherten Quadrat um den Pavillonplatz und sind an zwei Stellen mit Torhäusern untereinander verbunden. Dadurch gibt es einerseits konventionelle innere Verwaltungswege, andererseits können die Angestellten oder Bürger aber auch jedes Gebäude einzeln betreten und ihr Ziel – eher verwaltungsunüblich – direkt erreichen. Zentraler Punkt der Verwaltung ist nicht ein anonymes und großes Foyer, sondern der öffentliche und jedermann zugängliche Pavillonplatz. Er greift historische Stadtstrukturen auf und steht mit seiner gleichbleibenden Aufenthaltsqualität in einem spannenden Verhältnis zum an Markttagen „überbauten“, jedoch außerhalb von Veranstaltungen leeren Marktplatz gleich nebenan.
Zur maßstäblichen Einordnung des Paul-Wunderlich-Hauses in die Stadtstruktur tragen die bewusst abgeknickten Außenfronten und die wechselnden Fassadengestaltungen bei. Der Betrachter erlebt aus jeder Perspektive nur Teile des Ensembles, die zudem als Einzelgebäude wirken. Als Referenz an die forstwirtschaftliche Tradition der Stadt wurden die Außenwände durchgängig in Holztafelbauweise mit Fertigteilen ausgeführt. Ihre Außenseite ist variierend in Farbe und Material mit Faserzementplatten oder Putz auf Putzträgerplatten bekleidet.
Energieoptimiertes Bauen
Die künftig an einem Ort zusammengefasste Kreisverwaltung saß zuvor an neun Standorten. Allein durch diese Zerstreuung und die sehr unterschiedliche Bausubstanz entstanden enorme Betriebs- und Unterhaltungskosten. Am neuen zentralen Dienstsitz sollten nicht nur diese Aufwendungen reduziert, sondern auch die Energiekosten nachhaltig gesenkt werden.
Schon der 2003 ausgelobte Wettbewerb forderte deshalb eine Lösung, die weniger als die schon genannten 100 kWh Primärenergie pro Quadratmeter und Jahr für Heizen, Kühlen, Lüften und Kunstlicht verbraucht. Mit dieser Vorgabe konnte das Paul-Wunderlich-Haus in das Förderprogramm für energieoptimiertes Bauen (EnoB) des Bundeswirtschaftsministeriums aufgenommen werden.
Die Förderung schaffte den finanziellen Freiraum für die sehr frühe Einbindung der Energie- und Haustechnik-Fachplaner, außerdem für Simulationen, die über den üblichen Planungsaufwand hinausgingen sowie schließlich für den Einsatz innovativer Technologien. Zum Förderprojekt gehört eine Begleitforschung, die u.a. das tatsächliche Eintreten der geplanten energetischen Einsparungen überprüfen wird.
Die Besonderheit des Energiekonzepts von Eberswalde liegt – etwas überspitzt formuliert – darin, dass es keine Besonderheit hat. Soll heißen: Nicht spezielle oder neue „Wundertechniken“ sind für den niedrigen Gesamtenergieverbrauch verantwortlich, sondern das beharrliche Optimieren bekannter und vorhandener Lösungen sowie die sorgfältige Planung und Ausführung aller energierelevanten Details.
Durch die mit dem Wettbewerb beginnende Zusammenarbeit der Architekten von GAP und der Energiefachleute von teamgmi konnten das gesamte Raumprogramm in Anordnung, Kubatur und Hüllfläche, alle Bauteile und Anschlüsse sowie die komplette Haustechnik auf die Energieeffizienz abgestimmt werden, ohne dass darunter die gestalterische Dimension der Architektur leiden musste.
Regenerative Quelle nicht unbegrenzt ausgenutzt
Die komplizierten Baugrundverhältnisse und ein mittelalterliches Bodendenkmal schlossen eine Unterkellerung der Gebäude aus. Sie wurden auf einer Pfahlgründung aufgebaut, deren Pfähle zugleich geothermische Energie gewinnen. Reversible Wärmepumpen erzeugen daraus im Winter die notwendige Niedertemperatur und nutzen die Energiepfähle im Sommer als Wärmesenke für die Gebäudekühlung. Um die Erdwärme effizient einzusetzen, kommen die Energiepfähle nur bei Temperaturen unter 5 °C zum Einsatz. Darüber dient die Außenluft als Wärmequelle, die mit Luft-Wasser-Wärmetauschern als Rückkühler erschlossen wird.
Ähnlich ist die Bewirtschaftung des Erdreichs im Sommer organisiert: Nur bis 20 °C Rücklauftemperatur wird die Wärme in die Energiepfähle geleitet, darüber wird auf Rückkühler auf dem Dach umgeschaltet. Auch die regenerative Energiequelle Geothermie wird also nicht als unbegrenzt aufgefasst, sondern nachhaltig bewirtschaftet.
Mit der je nach Jahreszeit erzeugten Wärme oder Kühlung wird die Gebäudelüftung thermisch konditioniert. Die Zuluft gelangt das ganze Jahr über durch ungedämmte Rohre in den Betondecken in die Büros. Von dort strömt sie als Abluft in die so genannte Kombizone über, die hauptsächlich von den Fluren gebildet wird. In Büros mit erhöhten Anforderungen kamen dabei schallgedämmte Überströmelemente zum Einsatz. Die Fortluft des Gebäudes gibt in der Wärmerückgewinnung ihren Wärmegehalt zu 75 % wieder an die Zuluft ab.
Wärmedämmung und wärmebrückenfreie Anschlüsse
Die Holztafelelemente der Außenwände enthalten eine schon in der Vorfertigung eingebrachte Einblasdämmung aus Zellulose von 18 cm Dicke. Sie erreichen dadurch U-Werte von 0,2 W/(m²K).
Feststehende Verglasungen bestehen aus drei Scheiben Wärmeschutzglas Ug = 0,7 W/(m²K), bewegliche Flügel wurden aus Gewichtsgründen nur mit zwei Scheiben ausgeführt (Ug = 1,1 W/(m²K)). Der mittlere U-Wert der Hüllfläche beträgt 0,43 W/(m²K). Er beträgt damit nur gut die Hälfte des nach EnEV zulässigen Wertes von 0,8 W/(m²K) bei einem A/V-Verhältnis von 0,3.
Es sind aber weniger die sehr guten Wärmedurchgangswerte einzelner Bauteile, die die Effizienz des Gesamtgebäudes bewirken. Wichtiger ist an vielen Stellen die sorgfältige Detailausbildung für die Anschlüsse und die Verhinderung von Wärmebrücken. An den Holztafelelementen etwa die luftdichte Verbindung untereinander, die mit Anschlussschürzen sicher gestellt wurde. An den Fenstern die Verwendung kunststoffummantelter Abstandhalter aus Edelstahl für die einzelnen Scheiben. Als letztes Beispiel sei hier der gezielte punktuelle Einbau von Vakuum-Isolations-Paneelen in die Außenwände genannt, die die typische Wärmebrücke im Anschlussbereich des außenliegenden Sonnenschutzes verhindern.
Gesteuerte Technik ohne Kostenexplosion
Der Sonnenschutz ist zweigeteilt ausgeführt und lässt im oberen Bereich Tageslicht bis in die Tiefe des Raums fallen. Der Behang wird fassaden- und geschossweise automatisch in Abhängigkeit von der Einstrahlung gesteuert, wodurch Aufheizungen und Kühlenergieeinsatz minimiert werden. Jeder Raumnutzer kann den Sonnenschutz jedoch auch individuell korrigieren und einen zusätzlichen, sozusagen persönlichen Blendschutz benutzen, so dass kein Gefühl von anonymer Fremdbestimmung aufkommt.
Eine ebensolche Kombination aus energieoptimierter Automatik und arbeitsplatzbezogener Einzelsteuerung wurde in die elektrische Beleuchtung integriert. Ein Beleuchtungsstärke- und ein Präsenzsensor steuern energiesparend die Leuchtstärke der eigens für dieses Gebäude entworfenen Leuchten.
Jeder Mitarbeiter kann aber jederzeit das Kunstlicht an seine momentanen Anforderungen anpassen. Angesichts der Vielzahl der energie-intelligenten Lösungen im Paul-Wunderlich-Haus kommt unweigerlich die Frage auf, ob soviel Innovation und Detailoptimierung sich denn noch in einem vernünftigen Kostenrahmen bauen lässt. Der Landkreis Barnim ist angesichts der Gesamtkosten von 37 Mio. Euro für das Paul-Wunderlich-Haus hoch zufrieden.
Einen Vergleichsmaßstab zu anderen Projekten geben die Netto-Bauwerkskosten: Für die Baukonstruktion (Kostengruppe 300 nach DIN 276) und die technischen Anlagen (Kostengruppe 400) sind zusammen 1 263 Euro pro Quadratmeter Nettogrundfläche (nach DIN 277) veranschlagt.
Weitere Informationen
Wärmepumpen bba 504
Rückkühler (Wärmetauscher) bba 505
Architektur, Generalplanung und Projektsteuerung: GAP Gesellschaft für Architektur und Projektmanagement, Berlin Gebäudeklimakonzept, Energieplanung, Simulation: teamgmi Ingenieurbüro, Wien
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