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Die Form wird irritiert

Immanuel-Kant-Gymnasium in Heiligenhaus
Die Form wird irritiert

Um die Architektur dieser ungewöhnlichen Fassadengestaltung einzuordnen, muss man deren Urheberin zu Wort kommen lassen, die Kölner Architektin Ute Piroeth.

In einem Interview fasste sie die Philosophie ihres Denkens und Handels zusammen in einem Zitat von Albert Camus aus dem Mythos des Sisyphos: „Das Wesentliche ist, dass lange und in eine Richtung gehorcht werde. Dabei kommt und kam auf die Dauer immer etwas heraus, dessentwillen es sich lohnt, auf Erden zu leben, zum Beispiel Tugend, Kunst, Musik, Tanz, Vernunft, Geistigkeit, irgend etwas Verklärendes, Raffiniertes, Tolles, Göttliches….“ und mit ihren eigenen Worten ergänzt Ute Piroeth, die vom Schreinerhandwerk über die Stadt- und Regionalplanung zur Architektur gekommen ist: „So leite ich vom Absurden drei Schlussfolgerungen ab: Meine Auflehnung, meine Freiheit und meine Leidenschaft“.
Etwas Außergewöhnliches ist vor diesem Hintergrund entstanden. Tief reflektierte und systematische Gedankenansätze haben eine Architektur hervorgebracht, die als deutlicher Ausdruck des Heute verstanden werden darf.
Fassade als Oberfläche und Bild des Inneren
Die Fassade ist die Haut eines Gebäudes, gleichzeitig aber auch Signal und Prägung für den öffentlichen Raum.
Sie ist nicht allein nur Schutz gegen Wärmeverluste und Witterungseinflüsse, sie ist Ausdruck der Nutzung des Hauses im Stadtraum, Abbild des Inneren.
Vor diesen grundsätzlichen Ansatz ist der Entwurfsgedanke dann auch durch die Verwendung als ein Gebäude für junge Leute stark inspiriert; eine Projektion in die Zukunft, in der das Experiment immer gegenwärtig sein sollte.
Bevor über das hieraus abgeleitete Fassadenkonzept für die Sanierung des Gymnasiums berichtet wird, sei noch ein kurzer Rückblick auf die Ausgangssituation eingeschoben: Der Ursprungsbau entstand in den Jahren 1968 bis 1971 und wurde von dem Architekten Heinz Ruhl aus Essen mit einer für die damalige Zeit avantgardistischen Cortenstahlfassade bekleidet.
Schwerwiegende Schäden an deren Aufhängung waren Anlass für die Sanierung.
Die einzelnen Gebäude sind zum Teil halbgeschossig gegeneinander angeordnet. Wegbeziehungen innerhalb des Gebäudekomplexes vermitteln städtebauliche Strukturen.
Jedes Gebäude erkennbar
Dieser konzeptionelle Ansatz wurde originär von der Architektin weiterentwickelt, wobei Ideen des Malers Wolfgang Rüppel mit einflossen.
Basis der Sanierung ist eine hinterlüftete Ziegelfassade, bestehend aus 450 x 225 mm großen Ziegelplatten in sechs verschiedenen Farben, die in unterschiedlichen Kombinationen zu Ornamenten zusammengefügt wurden. Die Farben sind zu Mosaiken gemischt – dabei ist auch auf die Architektur der alten Römer, den Expressionismus, aber auch auf Pop-Art-Impressionen zurückgegriffen worden.
Jedes Gebäude für sich selbst sollte erkennbar sein, sich von den anderen unterscheiden, Farbenhöfe sollten entstehen.
Ausgang und zugleich Voraussetzung für diesen anspruchsvollen Gestaltungsansatz waren die oben erwähnte städtebaulichen Strukturen des Bestandes als auch die Funktionsvielfalt eines Gymnasiums. Was definiert die einzelnen Häuser einer Schulanlage besser als ihre inneren Abläufe.
Eine Nutzungsanalyse hierzu diente als Gedankenstruktur für die Zuordnung der farblichen Ausgestaltung der Ziegelfassaden: Der musische Bereich, dem auch die Naturwissenschaften zugerechnet wurden, signalisiert Bewegung durch ein heiteres Mosaik aus vier Farben (Sand, Lachs, Perlgrau und Vulkangrau). Die Aula, der Musiksaal und die Turnhalle, als offizielle Bereiche eher mit öffentlichkeitsorientierter Außenwirkung, werden, ebenfalls in einer modularen Mosaikstruktur, als Solitäre hervorgehoben. Die Farbmischung (Oxydrot, Braun, Perlgrau und Vulkangrau) wurde dabei betont dunkler und ernster gewählt.
Ausgesprochen rational und sehr viel weniger aufgeregt gibt sich schließlich die zweifarbige Bandfassade der allgemeinen Unterrichtsräume aus roten und braunen Ziegelplatten. Ihre lineare Struktur unterstreicht den Nutzungscharakter.
Haut im öffentlichen Raum
Der neue Fassadenentwurf hat den ursprünglichen Gedanken der Flächigkeit der Cortenstahlfassade wieder aufgenommen, ihn jedoch neu interpretiert, ausgehend von dem gestalterischen Ansatz, dass der Baukörper grundsätzlich nichts mit seiner Fassadenbekleidung zu tun hat.
Die Ziegelfassade ist vielmehr als „Tapete“ vorgehängt und genauso sollte sie sich auch darstellen.
In diesem Sinne ist auch das Detail der Ecklösung bestimmend für das Entwurfskonzept. Das jeweilige Ornament – Mosaik oder Bandstruktur – greift stets um die Ecke herum in die Fläche der anderen Fassade hinein, derart, dass die sich im Eckbereich treffenden beiden Plattenschenkel in der Summe das Modulmaß von 450 mm ergeben.
Die vorgehängte Fassade erzeugt somit ein umlaufendes Bild; die Baukörperform wird irritiert.
Im Ergebnis ist ein Geflecht von vielfältigen Beziehungen und Sichtbezügen zwischen den Baukörpern und den Fassaden entstanden – mit unterschiedlichen Farbmustern.
Durch die städtebauliche Komponente der Gebäudeanordnung zu den Höfen wird zugleich das komplexe Spiel zwischen Innen und Außen verdeutlicht. Die unterschiedlichen Fassadenstrukturen unterstreichen die Raumbildung; verschiedene Mosaiken sind vom gleichen Standort aus erkennbar.
Systemvoraussetzungen für flächige Gestaltung
Die hier verwendete Alphaton-Fassade ist ein technisch abgestimmtes System von Ziegelplatten und Unterkonstruktion.
Die 80 mm starke Wärmedämmung ist zwischen den vertikalen Grundprofilen angeordnet und lässt eine nachhaltige Energieeinsparung erwarten. Die 450 x 225 mm großen Ziegelplatten werden davor mit einem 4 cm breiten Lüftungsspalt montiert, so dass Unterkonstruktion und Wärmedämmung garantiert trocken und funktionsfähig bleiben. Gegenüber der bisherigen Stahlfassade kann bei der keramischen Bekleidung mit einer sehr viel höheren Lebensdauer gerechnet werden. Das Gebäude selbst ist eine Stahlbetonskelettkonstruktion mit Ausfachung. Durch die ausgereifte Technik des Moedinger Fassadensystems konnten die vorgegebenen Anschlusspunkte – Fenterlaibung, Dach, Innenecken – in der für die architektonische Idee wichtigen „Unsichtbarkeit“ gelöst werden. Die Konzentration auf die flächige Gestaltung stand dabei immer im Vordergrund.
Einheit in der Vielfalt
Mit der umfangreichen Palette von Farben und Formen dieser Ziegelfassade ist ein einheitliches Gestaltungsprinzip entstanden: Die Einheit in der Vielfalt, die bei aller konzeptionellen Strenge eine heitere Leichtigkeit erzeugt. Ebenso wie die alte Fassade ist auch ihre neue Interpretation, trotz gestalterischer Zeitlosigkeit, prägnanter Ausdruck des Heute.
Weitere Informationen
Alphaton-Fassade bba 502
Architektin: Ute Piroeth Architektur, Köln
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