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Corona-Lockdown und Architekturstudium: "Es fehlt an der Intensität"

Interview mit Prof. Ralf Pasel (TU Berlin)
Corona-Lockdown und Architekturstudium: „Es fehlt an der Intensität“

Corona-Lockdown und Architekturstudium: "Es fehlt an der Intensität"
Ralf Pasel ist seit 2012 Universitätsprofessor für Architektur an der TU Berlin. Er hatte zuvor mehrere internationale Gastprofessuren inne, unter anderem an der Universidad Catolica de Santiago de Chile und der Rotterdam Academy of Architecture and Urban Design. Bild: Marc Leppien

Der Corona-Lockdown beeinflusst das Lernen an den deutschen Universitäten maßgeblich. Statt Präsenz-Seminaren, Gruppenarbeiten und internationalem Austausch stehen im Sommersemester 2020 Homeoffice und digitale Seminare auf dem Stundenplan. Wie und ob das im Architekturstudium funktioniert, weiß Prof. Ralf Pasel.

Er lehrt Entwerfen und Baukonstruktion am Institut für Architektur der Technischen Universität Berlin. Im Interview liefert er ein Resümee für das noch laufende Semester und wagt einen Ausblick in die Zukunft des digitalen Lernens.

Professor Pasel, der Corona-Lockdown hat auch das Lernen an den Universitäten maßgeblich verändert. Wie funktioniert das digitale Lernen an der TU Berlin?

Prof. Ralf Pasel: Jede Fakultät, ja jede Disziplin, an der TU Berlin hat große Anstrengungen unternommen, um die Lehre nach dem Lockdown sehr schnell digital umzustellen. Das ist uns sehr gut geglückt. Das komplette Sommersemester 2020 findet an der TU, wie an den meisten Hochschulen in Deutschland, digital statt.

Auf das Architekturstudium bezogen läuft es insgesamt recht gut, da wir traditionell schon immer viel mit unterschiedlichen Medien gearbeitet haben, sowohl analog als auch digital. Durch den Lockdown haben wir jetzt verstärkt mit diversen digitalen Möglichkeiten experimentiert. Diese Phase war für alle sehr spannend und lehrreich. Mittlerweile hat sich das alles gut eingespielt.

Was können Sie bzw. die Studenten im Fachbereich Architektur tatsächlich alles digital lernen?

Prof. Ralf Pasel: Wir können sowohl synchron als auch asynchron mit den Studierenden arbeiten und zielgerichtet mit den Studierenden individuell als auch mit kleinen oder großen Gruppen über Live-Streams und Videokonferenzen Kontakt aufnehmen. Wir bieten viele und auch neue webbasierte Formate an. Besonders gut funktioniert das bei Vorlesungen und in Seminargruppen im Architekturstudium. Da das Universitätsgebäude für Studierende und somit auch ihre Arbeitsateliers geschlossen bleibt, bieten wir außerdem besonders viele Sprechstunden und Chats digital an, um so im ständigen Austausch mit den Studierenden zu bleiben.

Wie zufrieden sind Sie?

Prof. Ralf Pasel: Anfänglich habe auch ich mich von der Euphorie-Welle des Digitalen und seiner Möglichkeiten mitreißen lassen. Doch mittlerweile weiß ich, wo wir dabei im Architekturstudium an unsere Grenzen stoßen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Das digitale Lernen ist immer noch besser als nichts zu tun. Es kann das Präsenzstudium aber nicht ersetzten.

Für uns Lehrende ist die Vorbereitung sehr aufwendig. Der Aufwand hat sich aufgrund des extremen Kommunikationsbedarfs in den Entwurfsfächern enorm erhöht. Die Studierenden arbeiten völlig losgelöst, quasi im Selbststudium. Das ist nicht der Sinn eines Studiums. Es fehlt am Miteinander, an der Intensität, an der Atmosphäre, aus der neue kreative Ideen entstehen können. Das im Entwurf so wichtige gemeinsame Interagieren, um die erforderliche Subtilität zu erreichen, fällt durch die Distanziertheit des Digitalen leider weg.

„Wir alle erleben gerade ein Extrem“

Worin macht sich das bemerkbar?

Prof. Ralf Pasel: Das trifft besonders beim Arbeiten zu den Entwürfen zu. Das Architekturstudium ist als Projektstudium entwickelt. Man arbeitet quasi „hands-on“. Sicherlich arbeiten wir schon seit Jahren mit gängigen digitalen Programmen zur Erstellung von Zeichnungen und 3-D Modellen. Allerdings sind diese besonders als Ergänzung zum physischen Modell relevant. An dieser Stelle stoßen wir gerade an unsere Grenzen.

Es gibt zwar digitale Programme, bei denen durchaus mehrere Personen gleichzeitig an einem Modell arbeiten können, aber es ist nicht das Gleiche wie das Entwerfen am physischen Modell, bei dem ja auch eine unmittelbar materielle Komponente einen wichtigen Faktor darstellt. Die Software kann die persönliche Interaktion zwischen dem Entwerfer und seinem Produkt nicht ersetzten.

Darüber hinaus stehen viele Studenten vor einem räumlichen Problem. Sie haben in den WG-Zimmern oder kleinen Wohnungen schlicht kein Platz für größere Modelle und an die Uni dürfen sie derzeit nicht. Eine Lösung dafür ist nicht in Sicht. Wir müssen uns solange leider ganz aufs Digitale verlassen.

Die gemeinnützige Sto-Stiftung engagiert sich seit Jahren in der Förderung des Architekturstudiums, u.a. auch in der finanziellen Unterstützung von Design-Build-Projekten. Auch Sie und Ihre Studenten wurden bereits bei derartigen Projekten gefördert. Können diese Projekte in diesem Jahr realisiert werden? Funktioniert das digital?

Prof. Ralf Pasel: Design-Build Projekte sind in der Methodik und Zielsetzung sehr unterschiedlich veranlagt. Doch ist dabei meist – und das ist auch im Sinne der Sto-Stiftung – eine Teilnahme vor Ort unabdingbar. Design Build Projekte leben von der Partizipation vor Ort, vom sozialen, interkulturellen Austausch, vom Miteinander. Die Wissensvermittlung funktioniert bei den Projekten über direkte Erfahrung. Das funktioniert nicht digital. Daher herrscht hier momentan leider totaler Stillstand! Wir hoffen aber, dass die Projekte in naher Zukunft weitergetragen werden.

Was planen Sie konkret für das Wintersemester 2020/21? Wird es ein weiteres digitales Semester geben?

Prof. Ralf Pasel: Es ist derzeit leider schwierig, Pläne zu machen. Denn die Corona-Zeit hat uns gezeigt, dass Pläne, die man heute macht, morgen nicht mehr aktuell sind.

Die Universität hat das kommende Wintersemester, wie bereits auch schon das Sommersemester 2020 auch, einige Wochen nach hinten geschoben. Wir werden also erst Anfang November starten. Wir müssen die Monate September und Oktober abwarten, um zu wissen, wie es konkret weitergehen kann.

Ich hoffe, dass wir keine zweite Welle bekommen, und wünsche mir, dann wieder regulär durchstarten zu können. Bis dahin bleibt das Universitätsgebäude für die Studenten leider geschlossen. Ich bin froh über die Lockerungen, die nun Schritt für Schritt kommen und wenigstens den direkten Austausch mit meinem Team und meinen Professoren-Kollegen wieder erleichtern.

Was bedeutet die aktuelle Situation für Sie als Architekt? Sie arbeiten in einem internationalen Büro mit Sitz in Rotterdam, Berlin und München. Kommunizieren Sie ausschließlich digital? Welche Erfahrung haben Sie gemacht?

Prof. Ralf Pasel: Digitale Kommunikation ist mit meinen Kollegen in den drei Büros in Berlin, München und Rotterdam nicht neu. Das handhaben wir schon seit acht Jahren so. Natürlich ist das jetzt viel mehr geworden und natürlich kann ich derzeit nicht nach München oder Rotterdam fliegen.

Wir versuchen, alles soweit wie möglich digital zu lösen, das gilt auch für unsere derzeitigen Baustellen. Wir können zum Glück die Handwerker, die auf den Baustellen vor Ort sind, miteinbeziehen und haben hier und da schon selbstgedrehte Handyvideos bekommen, die uns den aktuellen Stand zeigen, damit wir auf dem Laufenden sind.

Wie sieht die Mitarbeit mit Ihren Kunden und Auftraggebern oder den Behörden aus? Ich denke hier an Baugenehmigungen, Finanzierungen, Änderungswünsche, Baustellen etc. Klappt das digital?

Prof. Ralf Pasel: Es gibt einen enormen Rückstau. Die meisten Projekte liegen still. Ämter und Behörden sind geschlossen oder die Angestellten dort arbeiten in Kurzarbeit und aus dem Homeoffice. Gremien können nicht tagen. Also können auch keine Entscheidungen getroffen werden. Benötigte Genehmigungen können nur sehr verzögert erteilt werden trotz großer Anstrengungen aller Beteiligten. Das ist schade, da wir jetzt eigentlich die Zeit hätten, uns um all das zu kümmern. Das alles führt momentan leider auch dazu, dass wenig neue Projekte angefangen werden können. Wir sind schlicht zum Warten genötigt.


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