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Im historischen Kontext

Neubau eines Wohnhauses in Stralsund
Im historischen Kontext

Mitten in die Stralsunder Altstadt fügte Architekt Christoph Meyn ein bemerkenswertes Wohnhaus mit hoher Energieeffizienz ein. Der eingezwängten Baulücke hat er ein Höchstmaß an Tageslichteinfall und Sonnenausbeute abgetrotzt.

Susanne Ehrlinger, Berlin

Als 2002 die historische Altstadt Stralsund in die Welterbeliste der Unesco aufgenommen wurde, hat sich die Hansestadt auch zum behutsamen Erhalt und der Weiterentwicklung dieser Baukultur verpflichtet. Den Reiz machen nicht nur die drei gotischen Backsteinkirchen und das beeindruckende Rathaus aus. Bis heute ist der mittelalterliche Grundriss mit Straßennetz, Quartiers- und Parzellenstruktur erhalten und vermittelt einen Eindruck von der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Stadt in dieser Zeit. In einem solchen Umfeld eine Lücke zu schließen, bedeutet für Architekten und Bauherrn Lust und Last zugleich. Im ausgewiesenen Sanierungsgebiet orientieren sich die Grundstückspreise am Bodenrichtwert. Die Stadt behält sich vor, bei Verkauf und Neubau zuzustimmen, wobei die Gestaltungssatzung die Möglichkeit eines modernen Weiterbaus in bewusstem Bezug zu den vorhandenen Strukturen akzeptiert. Die Herausforderung liegt darin, sich auf die kleinteilige Struktur ein-zulassen, und diese in ein modernes Gefüge zu übersetzen, das heutigen Ansprüchen genügen kann.
Von knapp 60 000 Einwohnern wohnen derzeit etwa 4 000 in der Altstadt. In zehn Jahren dürften das bis zu 7 000 Menschen sein, schätzt Architekt Christoph Meyn, der hier gegenüber der Kulturkirche St. Jacobi ein bemerkenswertes Wohnhaus für sich und seine Familie auf kleinstem Grundriss realisiert hat. Das Leben direkt in der Altstadt hat entscheidende Vorteile. Fußläufig zur Arbeit und zur Kinderbetreuung, zum Hafen und zu kulturellen Einrichtungen, bietet die kleine Straße ohne Verkehrslärm inmitten des baukulturell herausragenden Ensembles hohen Wohnwert.
Einen Garten kann das kleine, nur 150 m² große Grundstück nicht bieten, dafür einen abgegrenzten Innenhof mit PKW-Stellplatz, eine nach Süden gerichtete Terrasse und einen freien Blick auf die großen Bäume von St. Jacobi. Das Grün vor der Kulisse der gegenüberliegenden Kulturkirche entschädigt für alle entgangene Gartenarbeit.
Dialog mit dem Umfeld
Für das Wohnhaus in der Altstadt hat Architekt Meyn ein plastisches Kubaturkonzept entwickelt, das in Bezug zur Umgebung tritt, ohne sich historisierend anzubiedern. Das Haus überbaut zwei Parzellen ehemaliger Handwerkerbuden. Auf einer davon entwickelt sich der Hauptbaukörper auf einer Grundfläche von nur 65 Quadratmetern über drei Stockwerke. Er bietet Raum für eine abgetrennte Wohnung im Erdgeschoss und mit 125 m² ausreichend Wohnfläche für die vierköpfige Familie.
Daneben ordnete der Architekt eine Hofeinfahrt mit Unterfahrung eines zurückgesetzten Anbaus ein. Der Annex dient als Küchentrakt und führt zur geschützten Terrasse, die im Innern des Quartiers liegt. Konzeptionell wird die städtebauliche Figur des Nachbarhauses auf der Grundstücksgrenze gespiegelt und architektonisch ins 21. Jahrhundert übersetzt. Vor dem eigentlichen Bau musste zunächst eine Gründung aus 28 Betonpfählen (deutsche Zement- und Betonindustrie via BetonMarketing) den in der Stralsunder Altstadt schlechten Baugrund sichern. Dieses Nadelbett aus Mikropfählen schützt auch das Bodendenkmal der im Untergrund erhaltenen historischen Kellerreste.
Zentrales Thema: Tageslicht
Da das Grundstück im Osten, Süden und Westen von einer mehrgeschossigen Grenzbebauung umgeben ist, war die Tageslichtplanung ein zentrales Entwurfsthema. Das große Panoramafenster im Küchenanbau fokussiert den Kirchenbau vis-à-vis als Bestandteil des Lebensraums. Auch das große, dreifach verglaste Eckfenster zur Straßenfront ist mehr als ein Blickfang, die Spezialanfertigung lenkt auch von Mittag bis zur Dämmerung direktes Sonnenlicht in den offenen, eigentlich nordseitigen Wohnraum.
„Das Fenster erlaubt nicht nur die Teilhabe der Bewohner am öffentlichen Raum der Stadt, sondern auch eine Anteilnahme von der Straße und dem Platz aus am Leben der Familie. Dieses Wechselverhältnis zwischen privat und öffentlich bestimmt den Charakter des Hauses und unterscheidet es wesentlich von den privaten Wohnhäusern der Vorstädte“, bringt die Begründung
für den Landesbaupreis 2012 Architekturpreis die Qualität der Architektur auf einen Punkt.
Allerdings setzt Christoph Meyn künftig bei allen Fenstern kleiner Bauvorhaben nur noch auf standardisierte Systeme. „Hersteller sind bei einer kleinen Stückzahl nicht kooperativ in der Abwicklung und lassen die Verarbeiter hängen“, hat Architekt Meyn erfahren. Er favorisiert nun für seine Bauherren eingeführte Produkte, deren Vertrieb auch mehr Service bietet.
Bauen mit Niedrigenergiekonzept
Christoph Meyns war eine unkomplizierte Bauweise wichtig, der allerdings ein anspruchsvolles Energiekonzept zugrunde lag. Niedrigenergiestandard erreichte er durch einen konventionellen Massivbau. Ein 48 cm dickes Mauerwerk aus hochwärmedämmendem Porenbeton (H+H), Innenwände aus Kalksandstein sowie Stahlbetondecken (BetonMarketing) bieten die nötige die Speichermasse für das KFW-40 Wohnhaus, das mit einem Wert von 23,4 KWh/m²a 60 % unter den Anforderungen der gültigen EnEV liegt. Der kompakte Baukörper mit der Reduzierung der Hüllfläche kommt dem entgegen.
Kombiniert mit Dreifachverglasung und gedämmtem Flachdach, reichten bei dieser Bauweise ein diffusionsoffener mineralischer Leichtputz und ein Anstrich mit Silikatfarbe für die Fassade. Der Energiebedarf des Hauses wird durch einen in der Wohnebene angeordneten Scheitholzofen in Verbindung mit einer Solarkollektoranlage zur Warmwasserbereitung gedeckt. Beide speichern Wärme in einen rund 750 l fassenden Pufferspeicher ein, der eine zeitversetzte Wärmeabgabe in die Räume sowie die Erzeugung von Warmwasser über eine Frischwasserstation ermöglicht.
Auszeichnungen
Das Wohnhaus Papenstraße im historischen Kontext wurde mehrmals ausgezeichnet. Es erhielt den Architekturpreis Zukunft Wohnen 2012 in der Kategorie Leben mit der Umwelt, der von der deutschen Zement- und Betonindustrie in Kooperation mit dem Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure (BDB) ausgelobt worden ist.
„Das Projekt verdient in seiner Vielschichtigkeit und souveränen Umsetzung besondere Beachtung“, heißt es bei der Begründung für den Architekturpreis Zukunft Wohnen 2012. „Es ist in seiner Komplexität eine überzeugende Interpretation drängender Fragen des heutigen Wohnungsbaus.“
Auch der Landesbaupreis Mecklenburg-Vorpommern 2012 würdigt das Projekt. „Insgesamt handelt es sich bei diesem Projekt um ein überraschendes, vorbildliches, ökonomisch und ökologisch angemessenes und architektonisch herausragendes Gebäude…“, so die Begründung der elfköpfigen Jury aus Vertretern der Architekten- und der Ingenieurkammer Mecklenburg-Vorpommerns und des Landes.
Diese Einschätzung hat sich wohl herumgesprochen: So ist die moderne Kubatur mit der markanten Übereckverglasung heute Bestandteil von touristischen Führungen durch die historische Altstadt.
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Planung: gnadler.meyn.woitassek architekten innenarchitekten, Stralsund Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Schwepler & Wieck, Stralsund Energieberater: Ingenieurbüro Henrik Ewers, Rettin Tiefgründung: Dr. Dietrichs & Sohn GmbH, Freienwalde
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