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Kontinuierlich verändert und erhalten

Umbau und Sanierung einer ehemaligen Fabrik zum Tagungscenter in Oldenburg
Kontinuierlich verändert und erhalten

Das Architekturbüro Selugga & Selugga hat denkmalgeschützte Bereiche der alten Fleischwarenfabrik in Oldenburg umgebaut und auch energetisch saniert. Nach langem Leerstand wurde die Anlage zu einem modernen Tagungs- und Eventcenter mit Kantinenbereich umgewandelt. Der alte Wasserturm fungiert heute als Wissenschafts-Lounge.

Dr.-Ing. Malte Selugga | be

Die in den frühen zwanziger Jahren errichtete Alte Fleiwa war einst Europas modernste und größte Fleischwarenfabrik. Nach gut einem Vierteljahrhundert Leerstand wurde zwischen 2007 und 2010 das Herzstück der alten Industrieanlage, Wasserturm mit Maschinenhalle und Kesselhaus, im Auftrag der EWE AG durch das Architekturbüro Selugga & Selugga zu einem Tagungs- und Eventcenter mit Kantinenbereich umgebaut. Neben den Tagungs- und Kantinenbereichen wurde die Laterne des historischen Wasserturms in einen Begegnungsraum für Wissenschaft und Wirtschaft umfunktioniert.
Eine besondere Herausforderung bei dieser Baumaßnahme stellte der Umgang mit dem Denkmal dar. Aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Bereichen mussten differenzierte, auf die jeweilige architektonische Situation reagierende Konzepte entwickelt werden. Neben der Balance zwischen Erhalt und notwendiger Integration neuer Elemente wurde das Hauptaugenmerk auf die energetische Optimierung des Komplexes gelegt.
Vorgefundene Situation
1923 ließ Georg Bölts zusammen mit dem Großherzog von Oldenburg Friedrich August die Oldenburger Fleischwarenfabrik Bölts AG durch den Berliner Architekten Walter Frese errichten. Weithin sichtbares Wahrzeichen der in rotbuntem Klinker errichteten Anlage war der rund 38 m hohe Wasserturm mit Kupferkuppel. Zwischen 1927 und 1988 wechselten die Eigentümer mehrere Male, bis die Produktion verlegt und die industrielle Nutzung ein Ende hatte. Konnten Teilbereiche zu einem Verwaltungs- und IT-Zentrum entwickelt werden, so ließ sich für den denkmalgeschützten Komplex des Wasserturms mit Kesselhaus und Maschinenhalle keine Nutzung finden: Insbesondere die Projektierung einer Nutzung für den im Inneren nur rund 7,20 x 7,20 m messenden Wasserturm, der wegen seiner baulichen Höhe unter die Hochhaus-Richtlinie fällt und somit mit zwei Fluchttreppenhäusern hätte ausgestattet werden müssen, gestaltete sich als schwierig.
Entwurfsidee mit Denkmalschutz
Voraussetzung für den Erhalt der Authentizität eines historischen Bauwerks ist, dass nicht alle Bauteile auf einmal ausgewechselt werden, somit keine Kernsanierung vorgenommen wird, bei der abgesehen von einer gleichsam ausgehöhlten Theaterfassade nichts vom Gebäude erhalten bleibt. Vielmehr muss es sich um einen kontinuierlichen Prozess handeln, bei dem bestehende Raumcharakteristika erhalten bzw. herausgearbeitet werden und sich dieser Prozess am Bauwerk dokumentiert.
Gerade im Umgang mit einem historischen Bauwerk wie der Alten Fleiwa, einem bereits mehrfach an- und umgebauten Industriekomplex, der Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg sowie baulich-technischen Änderungen ausgesetzt war, bietet sich die Methode des kontinuierlichen Wandels an. Die Methode lässt sich am Beispiel des Menschen veranschaulichen. Hat ein alter Mensch – aufgrund des Austausches sämtlicher Zellen, aufgrund von Erfahrungen, Krankheit, Freud und Leid – physisch und psychisch nichts mehr mit dem Säugling gemein, als der er geboren wurde, so würde niemand in Abrede stellen, dass es sich immer noch um ein und dieselbe Person handelt. In diesem Zusammenhang wurde das Modell des „Strings“ entwickelt. Gleich einem Seil, bei dem viele kurze Fäden derart miteinander verflochten sind, dass die Gesamtlänge die Länge eines jeden Fadens um ein Vielfaches übersteigt und ein Faden vom Seilanfang einen Faden vom Seilende nicht mehr berührt, vollziehen sich Veränderungen im Leben eines Menschen kontinuierlich. Der Ursprung und der jetzige Zustand sind über diesen immer wieder ineinander greifenden Entwicklungsstrang miteinander verbunden.
Dieser Ansatz ermöglicht es, das historische Gebäude nicht als etwas Fertiges, künstlerisch in sich Abgeschlossenes und somit in gewissem Sinne Totes, als ein zu konservierendes Objekt zu betrachten, sondern vielmehr die in ihm angelegten Potenziale herauszuarbeiten. Werden viele Gebäude auch von ihren Architekten als finale Endprodukte erdacht, so sollten wir – im Sinne der Nachhaltigkeit – historische Bauten als offene, zu entwickelnde Objekte betrachten, in denen sich verschiedene Zeitschichten und Gestaltungshandschriften ablagern. Weder darf ein historisches Gebäude in einen oft nur schwer nachvollziehbaren „Urzustand“ zurückbefördert und konserviert werden, noch darf der gegenwärtige Zustand „schockgefroren“ und das Bauwerk damit zu einem Ausstellungsstück beschränkter Nutzbarkeit degradiert werden.
Ziel muss sein, das Denkmal mit heutigen Gebrauchsansprüchen zu vereinen und langfristig nutzbar zu machen. Veränderung muss Teil des Gebäudes sein. Gerade aus der ganzheitlichen energetischen Betrachtung sollte die Wieder- bzw. Weiternutzung eines Baudenkmals und somit die Anpassung an den gegenwärtigen Bedarf befürwortet werden.
Diese Entwicklung muss jedoch so auf das Bestandsgebäude abgestimmt werden, dass weder Authentizität noch kulturelle und soziale Werte verloren gehen.
Mensa
Beim alten Kesselhaus mit der historischen Kohlenschütte handelte es sich um eine rein funktionale Architektur, die einer architektonischen Ästhetik im klassischen Sinn entbehrte. Eine enge Verbindung von Bauwerk und Maschine prägte den Raumcharakter. Diese Verbindung wurde aufgegriffen und weiter betont. Historische Maschinenelemente und neue technische Einbauten wie Hauben und Fahrstuhlanlage verbinden sich mit dem Raum zu einem Ganzen. Die für den Raum charakteristische Zenitbelichtung wurde in Form eines Lichtgartens neu interpretiert. Da durch die räumliche Enge der Kantine nur 115 Sitzplätze untergebracht werden konnten, mussten zusätzliche Kantinenflächen zugeschaltet werden. Zum einen wurde oberhalb der Küche eine Empore für rund 100 Plätze geschaffen, zum anderen wurde der dem Audimax vorgeschaltete Empfangsraum so ausgebildet, dass er bei Bedarf der Kantine mit 70 weiteren Plätzen zugeschlagen werden kann.
Audimax und Colloquium
Im Gegensatz zum Kesselhaus handelte es sich bei der Maschinenhalle um eine klassische Raumkomposition, wo Maschinen gleichsam als Ausstellungsstücke eingefügt wurden. Den Fortschrittsglauben ihrer Zeit spiegelnd, erfuhren die Maschinen eine ästhetische Wertschätzung. Um dieses Verhältnis Raum-Maschine auch in der neuen Funktion als Eventraum herauszuarbeiten, wurde die älteste Maschine, eine Kühlmaschine von 1932, an Ort und Stelle in eine überdimensionierte Glasvitrine gefasst.
Neben dem Eventbereich im EG sollte ein flexibel teilbarer Besprechungsraum für bis zu 200 Personen integriert werden. Ein derartiges Volumen ließ sich aus Platzgründen nicht in die Gebäudekubatur einfügen. Um alt und neu klar voneinander abzugrenzen, wurde im nördlichen Bereich über der Mensa im Dachgeschoss eine gläserne Box als bewusster Kontrast zum Bestand aufgesattelt.
Turm und Refugium
Mit einer Höhe von über 38 m fällt der Turm unter die Hochhaus-Richtlinie. Aufgrund der geringen Grundfläche von 8 x 8 m Außenmaß schied die Integration zweier separater Fluchttreppenhäuser im Turminneren aus. Um das Äußere des Baudenkmals unangetastet zu lassen und nicht durch eine außen liegende Fluchttreppe zu entstellen, mussten innovative Wege beschritten werden, die das Entfluchten des Turms mit nur einer Treppe gewährleisten. Unter anderem wurde hierfür das Sicherheitstreppenhaus mit einer Rauchverdrängungsanlage ausgestattet. Der Turm als weithin sichtbares Wahrzeichen wurde zudem als Hauptzugang ausgebildet. Ähnlich der gläsernen Aufsattelung des Colloquiums wurde hier ein transparenter Windfang in Form eines Glaskubus‘ als bewusster Kontrast zur alten Backsteinarchitektur in Form eines Windfangs ausgebildet.
In der Laterne des Turms, in der einst der Wassertank installiert war, wurde eine doppelstöckige, über 10 m hohe Wissenschafts-Lounge geschaffen. Um die Kuppel auch im Inneren erfahrbar zu machen, wurde diese zum Innenraum hin geöffnet.
Nachhaltig energetisch saniert
Das Anbringen von Wärmedämmung an der Außenseite des denkmalgeschützten Verblenderbaus schied grundsätzlich aus. Auch die Hohlschicht des zweischaligen Mauerwerks konnte aufgrund unregelmäßiger Durchdringungen nicht als Dämmebene genutzt werden. Folglich musste auf eine Innendämmung zurückgegriffen werden. Hierbei wurden alle Außenwände innenseitig mit Calciumsilikatplatten (Redstone) verkleidet. Neben günstigen bauphysikalischen Eigenschaften wie Wärmedämmung und Saugfähigkeit erhöht die Calciumsilikatplatte durch ihre hohe Alkalität auch den Widerstand gegen Schimmelbefall.
Um ein ausgewogenes Raumklima sowohl im Sommer als auch im Winter zu gewährleisten, wurde der gesamte Baukörper mit Flächenheiz- und Kühlsystemen (Aquatherm) ausgestattet. Der Vorteil von Heiz- und Kühlelementen für Wand, Boden und Decke liegt in einer erhöhten Behaglichkeit für den Nutzer und in den niedrigen Vorlauftemperaturen, die mit einer Wärmepumpe bei hohem Wirkungsgrad bzw. hoher Jahresarbeitszahl gut und kostengünstig zu erreichen sind.
Als Herzstück der Anlagentechnik wurde das Apess Integral Wärmepumpensystem (Air 2000 GmbH) gewählt, das mittels Wärmerückgewinnung aus der verbrauchten Abluft eine hohe Energieeffizienz erzielen kann. Ebenfalls in dieses System eingebunden sind die Nutzung von Abwärme aus der Küchenkälte sowie die Energieerzeugung für Brauchwasser. Apess heißt Ambient Protecting Energy Saving System und bedeutet Umwelt schützendes Energie-Spar-System. Das zweistufige Wärmerückgewinnungs-Verfahren in der Lüftungstechnik steht für 100-prozentigen Wirkungsgrad. Bei Apess-Integral arbeiten die Wärmetauscher alle im Verbund integriert.
Der Jahresenergiebedarf berechnet sich aus der beheizten Gebäudefläche von 2 159 m², dem beheizten Nettogebäudevolumen von 9 896 m³ sowie dem speziellen Transmissionswärmeverlust: 0,58 W/m²K. Die Norm-Gebäudeheizlast liegt bei 105,3 KW, der Brauchwasserwärmebedarf bei 12,5 KW. Unter Berücksichtigung der eingesetzten Wärmepumpe und der technischen Anlagenverluste (Jahresarbeitszahl bzw. COP: 3,47) beträgt der Jahresprimärenergiebedarf Q= 33,95 KWH/m² Jahr.
Architekten: Rüdiger Selugga und Dr. Malte Selugga, Selugga & Selugga Architektur GmbH, Oldenburg
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